Sehr geehrte Damen und Herren,
An alle Mitglieder von wig Wohnen in Gemeinschaft e.V.
Sie werden in jüngster Zeit verschiedentlich über Fachzeitschriften wie auch die Medien von der „Ablehnungswelle“ in Bezug auf Leistungen aufgrund von Verordnungen Häuslicher Krankenpflege gehört haben. Diverse besorgte Anfragen aus dem Kreis der Mitglieder veranlassen uns, wig Wohnen in Gemeinschaft e.V., als Bundesverband für Leistungserbringer und Patienten in ambulant betreuten Wohngemeinschaften, dieses Themaklarstellend aufzugreifen und Ihnen Hinweise für empfehlenswerte Maßnahmen zur Absicherung Ihrer Leistungserbringung und auch Vergütungen in von Ihnen begleitete Wohngemeinschaften zu geben.
Dieses SONDERRUNDSCHREIBEN steht Ihnen hier zum Download als PDF zur Verfügung
Die Diskussion ist aufgekommen, weil in den letzten Monaten die AOK Bayern in mindestens rd. 150 Fällen Maßnahmen der sog. „einfachen Behandlungspflege“ in ambulanten Wohngemeinschaften nicht mehr übernehmen wollte und daher Kosten
übernahmen ablehnte und zwar mit dem Argument, dass die in Rede stehenden Medikamentengaben und Blutzuckermessungen als „einfachste Behandlungspflege“ von „jedem Erwachsenen“ erbracht werden könne, weswegen dies auch für Betreuungskräfte in Wohngemeinschaften gelte. Der (vergütungspflichtige) Einsatz von für Maßnahmen nach SGBV qualifizierten Pflegekräften sei nicht erforderlich, da dies auch die Betreuungskräfte in der Wohngemeinschaft leisten könnten und nach der Rechtsprechung des BSG auch leisten müssten.
Drei vor dem Sozialgericht Landshut von den Patienten gegen die AOK – Ablehnungen gerichtete Klagen gab das Gericht statt. Es stellte zunächst fest, dass Wohngemeinschaften mit unvollständigem, modular aufgebautem Leistungsangebot, das nicht dem Umfang einer Voll- oder Gesamtversorgung entspricht, „geeignete Orte“ i. S. d. § 37 Abs. 2 S. 1 SGBV für die Erbringung von Behandlungspflegen sein können, wobei dies ist zudem auch eindeutig in § 1 Abs. 1S. 1 der HKP – Richtlinie bestätigt sei. Ferner führte es aus, dass eine Wohngemeinschaft kein Haushalt sei, in dem ohne weiteres eine dort lebende Person Behandlungspflegen übernehmen könne und müsse (§ 37 Abs. 3 SGBV). Und das Gericht unterstreicht, dass es bei Wohngemeinschaften für den Betreuungsdienstleister keine gesetzliche Pflicht gebe, Behandlungspflegemaßnahmen als Teil der Betreuung zu leisten. Entscheidend war für das Sozialgericht dann auch, dass es für die Mieter in der fraglichen Wohngemeinschaft keine betreuungsvertragliche Pflicht zur Erbringung derartiger Behandlungspflegen gab.
Nachdem die AOK Bayern gegen diese Urteile Berufung eingelegt hatte, entschied das Bayerische Landessozialgericht, dass der Anspruch der Patienten besteht, wo rauf die Berufung der AOK zurückgewiesen und die AOK zur Kostenübernahme verurteilt wurde. Das schriftliche Urteil liegt noch nicht vor. Allerdings ließ das Landessozialgericht die Revision zu. Ob die AOK das Revisionsverfahren durchführt oder nicht ist derzeit noch offen.
Das Problem ist kein „bayerisches Problem“: Die von der AOK Bayern vertretene Rechtsauffassung wird auch andernorts vertreten, wenngleich die Dinge bisher nur in Bayern derart eskaliert sind. Die angesprochenen Rechtsfragen sind Grundsatzfragen des SGBV und berühren alle Versorgungen in Wohngemeinschaften.
2.1 Erster Kernpunkt: Leistungserbringung „an geeigneten Orten“ -sind Wohngemeinschaften geeignete Orte für die Erbringung behandlungspflegerischer Maßnahmen?
Zunächst geht es um die Frage, ob „ambulant betreute Wohngemeinschaften“ sog. geeignete Orte“ für die Erbringung von Behandlungspflegeleistungen sein können. Das ist der Fall, weil § 37 Abs. 2 S. 1 SGB V und zudem auch eindeutig § 1 Abs. 1 S. 1 der HKP – Richtlinie dies regelt. Dort sind Wohngemeinschaften als gemeinschaftliche Wohnformen explizit genannt.
2.2 Zweiter Kernpunkt: Wohngemeinschaften sind nur dann sog. „geeignete Orte“, wenn sie keine Versorgung auch mit Behandlungspflege „institutionalisiert“ leisten
2.3 Dritter Kernpunkt: Durchführung sog. „einfache Behandlungspflegen“ als „Jedermann – Fähigkeit“ -sind Betreuungskräfte in der Wohngemeinschaft Personen, die als Erbringer von sog. einfachen Behandlungspflegen in Betracht kommen?
Rechtlich ist dieser Gesichtspunkt in § 37 Abs. 3 SGBV begründet, wo geregelt ist, dass „einfache Behandlungspflege“ zunächst von „im Haushalt des krankenlebenden Personen“ erbracht werden muss, wenn a) diese dazu befähigt sind und b) sie dazu bereit sind. Es besteht keine gesetzliche Zwangsverpflichtung und die Krankenkassen können im Haushalt lebende Personen zur Erbringung von Behandlungspflegen auch nicht „einfach so“ zu diesen Tätigkeiten „zwangsverpflichten“. Wenn überhaupt eine Person im Haushalt in Betracht kommen könnte, so müsste diese dazu bereit sein. Voraussetzung ist aber stets ein persönliches Näheverhältnis, das eben durch das „Zusammenleben in einem Haushalt“ begründet wird. Betreuungskräfte und sonstige Mitarbeiterinnen in Wohngemeinschaften leben schon nicht mit dem Behandlungspflegebedürftigen in einem Haushalt, so dass schon aus diesem Gesichtspunkt eine Heranziehung von Betreuungskräften in Wohngemeinschaften zu diesen Leistungen nicht in Frage kommt. Angehörige der Pflegebedürftigen leben ebenfalls nicht in der Wohngemeinschaft, sodass sie auch nicht als geeignete Personen, die verpflichtet sein könnten, in Betracht kommen
2.3 Zusammenfassendes Resumé
Die Versagung von Kostenübernahmen für einfache Behandlungspflegen kommt also in Wohngemeinschaften dann nicht in Frage, wenn das Leistungsbild der Wohngemeinschaft diese Leistungen nicht umfasst. Dies hat das erstinstanzlich das SG Landshut judiziert und das Bayerische LSG in München so bestätigt. Diese Rechtsprechung entspricht der gesetzlichen Rechtslage.
Daraus folgt für die Leistungsgestaltung in Wohngemeinschaften Folgendes:
Wir hoffen, Ihnen mit diesen Erläuterungen und Hinweisen mehr Klarheit in die „Kakophonie“ der Stimmen gebracht zu haben.
Dieses „Sonderrundschreiben“ kann im Einzelfall ggfls. erforderliche Beratung nicht ersetzen. Sollten Sie Fragen in Einzelfällen haben, so stehen Ihnen die Unterzeichner gerne für individuelle Beratung zur Verfügung (Kontakt am besten zunächst per eMail: Dr.Michei@RADrMichel.de).
Mit besten Grüßen und guten Wünschen
Claudius Hasenau Dr. Lutz H. Michel
1. Vorsitzender FRICS Rechtsanwalt