Der Fachverband für ambulant
begleitete Wohngemeinschaften

Was darf das Leben in einer Wohngemeinschaft kosten?

Das Bild zeigt den Eingangsbereich zu der preisgekrönten Demenz-Wohngemeinschaft "Leben in Schaffrath" der APD Ambulante Pflegedienste Gelsenkirchen GmbH.

Willkommen zuhause: Das Bild zeigt den Eingangsbereich zu der preisgekrönten Demenz-Wohngemeinschaft „Leben in Schaffrath“ der APD Ambulante Pflegedienste Gelsenkirchen GmbH. Foto: Uwe Jesiorkowski/APD

Miete zu teuer? Sozialämter kürzen Kosten der Unterkunft bei WG-Bewohnern, die Anspruch auf Hilfe zur Pflege haben – Fachverband wig lässt Rechtsanspruch auf Übernahme der Unterkunftskosten gutachterlich prüfen

Statistiken belegen: Fast jeder zweite Mieter in einer ambulant begleiteten Wohngemeinschaft ist mittlerweile auf „Hilfe zur Pflege“ gemäß SGB XII angewiesen, zu der auch die Übernahme angemessener Kosten der Unterkunft (KdU) gehört. An diesem Punkt setzen viele Sozialämter neuerdings den Rotstift an: Bei Erst-Anträgen werden nur noch solche Unterkunftskosten als angemessen bewilligt, die auch für einen alleinstehenden Empfänger von Grundsicherung oder Hartz IV gelten. Nach Ansicht des Fachverbandes wig Wohnen in Gemeinschaft NRW ist diese restriktive Auslegung nicht zulässig. Der Verband hat deshalb die Sozialrechtler Prof. Dr. Utz Krahmer (Düsseldorf) und Prof. Dr. Sven Höfer (Freiburg) beauftragt, die Kriterien für sozialhilferechtlich anzuerkennende Unterkunftskosten für Bewohner von ambulant betreuten Wohngemeinschaften in einem Gutachten zu klären.

Was sind angemessene Kosten der Unterkunft bei einem pflegebedürftigen, an Demenz erkrankten WG-Mieter, der Anspruch auf Sozialhilfe hat? An dieser Frage scheiden sich in Gelsenkirchen die Geister. Hier hat die APD Ambulante Pflegedienste Gelsenkirchen GmbH im Juni 2016 drei neue Wohngemeinschaften für insgesamt 24 Mieterinnen und Mieter eröffnet, etwa die Hälfte davon beantragte „Hilfe zur Pflege“. Als im Januar 2017 die Bescheide des Sozialamtes eintrafen, war die Überraschung groß: Ohne Vorwarnung wurde die tatsächliche Miete mit dem Hinweis gekürzt, dass nur Unterbringungskosten angerechnet werden können, die der örtliche Träger der Sozialhilfe für Empfänger von Grundsicherung oder Hartz IV im sogenannten „schlüssigen Konzept“ festgelegt habe.

Das Foto zeigt Dieter Otto, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sozialrecht, Dortmund.

Dieter Otto, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sozialrecht, Dortmund. Foto: Andreas Weiss/wig

Allerdings gewähre Gelsenkirchen bei anspruchsberechtigten Personen mit besonderem Wohnbedarf einen Zuschlag von 30 Prozent auf die Nettokaltmiete, danach gilt in Gelsenkirchen bei einer Mietfläche von 50qm eine monatliche Nettokaltmiete plus Betriebskosten ohne Heizung von 359,- Euro als angemessen. Die Hilfesuchenden legen gegen die vorläufigen Bescheide Widerspruch ein – ohne Erfolg. In einer Antwort an den ambulanten Pflegedienst heißt es: „Es geht hier nicht um die Frage, ob die Kosten für die spezielle Unterkunft an sich gerechtfertigt sind, sondern ob es sozialpolitisch gewollt ist, dass ein Sozialhilfeempfänger auch derart hochpreisige Angebote nutzen darf.“ Dieser müsse sich vielmehr „am unteren Drittel des Angebots“ orientieren.

Mit dieser Antwort mag sich die APD GmbH, einer der zehn größten privaten ambulanten Pflegedienste in Deutschland, nicht zufriedengeben. Die Entscheidung der Stadt, die Kosten der Unterkunft von Pflegebedürftigen in Wohngemeinschaften dem Leistungsbereich der Grundsicherung zuzuordnen, ist auch nach Ansicht des Sozialrechtlers Dieter Otto (Dortmund) rechtlich nicht haltbar: „„Eine schematische Anwendung verbietet sich schon deshalb, weil nach dem Grundsatz der individuellen Bedarfsdeckung für Menschen mit Demenz in Wohngemeinschaften ein besonderer Bedarf bei der Beurteilung der Angemessenheit von Wohnfläche und Ausstattung besteht.“ Zudem machten besondere Anforderungen an die Wohngemeinschaften aus den baurechtlichen und landesheimrechtlichen Vorschriften, wie sie im neuen Wohn-Teilhabe-Gesetz des Landes NRW vorgeschrieben seien, einen Vergleich mit Wohnungsangeboten auf dem lokalen Wohnungsmarkt nicht sachgerecht.

„Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen“, kommentiert der APD-Geschäftsführer und wig-Gründungsvorstand Claudius Hasenau die Gelsenkirchener Haltung. Diese lege ambulant betreuten Wohngemeinschaften, die nach Aussage von NRW-Pflegeministerin Barbara Steffens „als Alternative zur stationären Unterbringung gestärkt werden müssen“, erneut Stolpersteine in den Weg. Sorgen macht er sich dabei vor allem um die pflegebedürftigen Mieterinnen und Mieter und um ihre Angehörigen. „Das Sozialamt weist die Anspruchsberechtigten schon beim Antrag auf die Möglichkeit der Kürzung hin, was zu einer großen Verunsicherung führt,“ sagt Hasenau. Schließlich müsse einem Mieter, der seine Miete schuldig bleibe, gekündigt werden – „ein furchtbarer Gedanke“. Sollten die Verhandlungen mit der Stadt zu keinem Ergebnis führen, sei eine Musterklage unausweichlich.