Der Fachverband für ambulant
begleitete Wohngemeinschaften
16. August | Aktuelles, News

Patientenrechte wahren! Fachverbände warnen vor Kahlschlag bei Wohngemeinschaften für schwer kranke Menschen in NRW!

wig Wohnen in Gemeinschaft und IPV Ambulanter Intensivpflegeverband Deutschland e.V. fordern NRW-Landesregierung in gemeinsamer Stellungnahme auf, WG-feindlichen Entwurf zur WTG-Novellierung zurückzuziehen.

Will die NRW-Landesregierung Wohngemeinschaften für schwer kranke Menschen, die besonders intensiver Pflege und Betreuung bedürfen, in Zukunft per Gesetz „ausmerzen“? Mit großer Sorge und Unverständnis betrachten der Fachverband für Wohngemeinschaften wig Wohnen in Gemeinschaft e.V. und der IPV Ambulanter Intensivpflegeverband Deutschland e.V. als bundesweites Sprachrohr der häuslichen Intensivpflege den aus dem Sozialministerium von Karl-Josef Laumann stammenden Entwurf eines Änderungsgesetzes zum Wohn- und Teilhabegesetz für NRW. In der ersten gemeinsamen Stellungnahme ihrer Fachverbände formulieren die Vorstände Claudius Hasenau (wig) und Stephan Kroneder (IPV) vehemente Bedenken: „In dem geplanten NRW-Heimgesetz, das sich momentan in der Verbändeanhörung befindet, werden Wohngemeinschaften für schwer kranke Menschen gezielt aus dem Kreis von Wohngemeinschaften mit Betreuungsleistungen ausgeschlossen, indem postuliert wird, dass die Nutzerinnen und Nutzer in Person „,interaktionsfähig‘ sein müssen.“
Wohngemeinschaften sind für alle da!

Die Kritik entzündet sich besonders an dem „Begriffsungetüm der Interaktion“, so die Fachverbände. „Die Wohn- und Lebensform der Wohngemeinschaft darf ihre Tür für schwer kranke Menschen nicht verschließen,“ sagt der wig-Vorsitzende Claudius Hasenau. IPV-Präsident Stephan Kroneder ergänzt: „Keine Nutzergruppe darf ausgeschlossen werden: Alle Menschen haben das Wahl- und Entscheidungsrecht, die Versorgung zu wählen, die sie oder ihre Angehörigen wünschen, weil sie sie für sich selbst oder ihre Anvertrauten für gut und richtig halten. Dies kann und darf ihnen nicht genommen werden.“

In seiner Zeit als Pflegebevollmächtigter des Bundes stellte der jetzige NRWPflegeminister Laumann die These auf, „alle Beatmungspatienten gehören in Heime oder Krankenhäuser“. Dieses Dogma lehnen wig und IPV kategorisch ab. Stephan Kroneder: „Die Realität zeigt doch, dass Wohngemeinschaften dank ihres familiären Charakters als Lebensort für schwerstpflegebedürftige Menschen deutlich besser geeignet sind als Heime. Dies gilt insbesondere für die vielen jüngeren Betroffenen, die ohne diese Alternative automatisch in vollstationäre Einrichtungen der Altenhilfe abgeschoben werden müssen.“ Beide Verbände verweisen insbesondere darauf, dass selbst bettlägerige und beatmete Patienten miteinander zusammenleben können und wollen. Stephan Kroneder: „Ans Bett fixiert zu sein oder beatmet zu werden, schließt ein Teilnehmen an Gemeinschaft doch nicht aus. Nach der jahrzehntelangen Erfahrung im Umgang mit intensivpflegebedürftigen Menschen sehen wir uns durch wissenschaftliche Studien bestätigt, wonach nicht wenige der angeblich wachkomatösen Patienten an einem Locked-in-Syndrom leiden, das überwunden werden kann.“ Und wig-Vorstand Claudius Hasenau ergänzt: „Gerade Herr Laumann spricht doch immer davon, dass jeder entscheiden und auswählen können muss, in welcher Wohnform er leben möchte. Warum will er dieses Wahlrecht jetzt in NRW einschränken?“

WTG-Änderungsvorschlag produziert überflüssige Rechtsunsicherheiten
Beide Fachverbände warnen davor, dass die Gesetzesänderung – sollte sie so verabschiedet werden – „völlig überflüssige Rechtsunsicherheiten“ schaffen werde. Dies eröffne Grauzonen für Interpretationen, die im Ordnungsrecht völlig deplatziert sind. Wig-Vorstand Claudius Hasenau fragt: „Was heißt Interaktion? Was heißt Ziel? Und was heißt regelmäßig?“. Sein Fachverband sieht diese Anhäufung unbestimmter Rechtsbegriffe kritisch. Rechtsanwalt Dr. Lutz H. Michel, der wig seit vielen Jahren als Justiziar begleitet, unterstreicht: „Das Ordnungsrecht – insbesondere das Ordnungsrecht der Betreuungswohnformen – verlangt klare Worte: Weder den Anbietern noch den WTG-Behörden ist mit Vagheit und neuen Begriffen gedient. Interaktion ist kein Rechtsbegriff. Es handelt sich um einen in der Soziologie und Psychologie geläufigen Begriff, der ein aufeinander bezogenes soziales Handeln zweier oder mehrerer Personen oder die Wechselbeziehung zwischen verschiedenen Handlungspartnern bezeichnet. Was genau soll das für Wohngemeinschaften heißen?“. Und Rechtsanwältin Anja Hoffmann, die den IPV und seine Mitglieder rechtlich berät, ergänzt: „Mögliche Regularien in oder Kontrollmöglichkeiten von Wohnformen, in denen intensivpflegebedürftige Patienten versorgt werden, können wesentlich effektiver im Leistungserbringungsrecht anstatt im Ordnungsrecht verortet werden. Dort lassen sich im Rahmen der rechtlichen Beziehungen zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern gesetzliche oder vertragliche Regelungen vorgeben oder vereinbaren, um den anscheinend vom Gesetzgeber beabsichtigten besseren Schutz und die Kontrolle dieser Klientel zu gewährleisten.“

Grundrecht der Selbstbestimmung muss gewahrt bleiben!
Die Fachverbände wig und IPV fordern die NRW-Landesregierung daher mit Nachdruck auf, von dem Änderungsvorhaben in der gegenwärtigen Form abzusehen. Beide Verbände haben in einer umfassenden und juristisch untermauerten Stellungnahme in der Verbändeanhörung unisono ihre Positionen formuliert und zugleich konstruktive Gegenvorschläge unterbreitet. Diese dienen dem Ziel, die pflegerische Versorgung von schwer kranken Menschen in NRW in allen – von ihnen frei gewählten Versorgungsformen zu ermöglichen. Diese Wahlfreiheit beruht auf dem ihnen zustehenden Grundrecht auf Selbstbestimmung, das wiederum die Grundsätze der UN – Behindertenrechtskonvention erfüllt und wahrt.

Weitere Informationen:
www.ipv-deutschland.de

Die gesamte Stellungnahme können Sie hier nachlesen.