Außen vor statt mittendrin: WIG Wohnen in Gemeinschaft betont Anspruch auf gleiche Schutzmaßnahmen bei gleicher Risikosituation – Heime erhalten doppelt so viel Schnelltests wie WGs – Keine Tests für WG-Besucher vorgesehen
Gelsenkirchen, 30. Oktober 2020. Ambulant begleitete Pflege-Wohngemeinschaften gehören mittlerweile zur Regelversorgung in Deutschland. Trotzdem bindet die seit dem 14. Oktober 2020 geltende „Verordnung zum Anspruch auf Testung in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-COV-2“ – kurz: Coronavirus-Testverordnung – diese Wohnform nur unzureichend in die neue Test- und Finanzierungsstrategie ein, kritisiert der WG-Fachverband wig Wohnen in Gemeinschaft in Gelsenkirchen.
Für teil- und vollstationäre Einrichtungen stehen laut Verordnung pro versorgter Person bis zu 20 Schnelltests im Monat zur Verfügung, den ambulanten Diensten, die u.a. auch Mieterinnen und Mieter in Wohngemeinschaften versorgen, aber nur bis zu 10 Tests pro Person und Monat. Damit kann in stationären Einrichtungen doppelt so häufig getestet werden wie in ambulant begleiteten WGs. „Das ist sachlich nicht nachvollziehbar“, sagt der wig-Vorsitzende Claudius Hasenau. Der Fachverband fordert für die WGs die gleiche Behandlung wie vollstationäre Altenpflegeeinrichtungen. Hasenau: „Ob vollstationäre Unterbringung oder ambulant begleitete Wohngemeinschaft: Die pandemische Risikolage ist für alle Menschen, die in Altenwohneinrichtungen in Gruppen zusammenleben, die sich dort als Besucher aufhalten oder die dort in der Betreuung oder Pflege tätig werden, identisch. Bei gleicher Risikolage aber haben Wohngemeinschaften Anspruch auf gleiche Maßnahmen zum Schutz der Mieterinnen und Mieter, ihrer Angehörigen und der Mitarbeitenden vor einer Ansteckung mit Covid-19.“
Fachverband befürchtet neue Besuchsverbote in WGs
Das Ungleichgewicht setzt sich bei der Testung von Besucherinnen und Besuchern fort. Während Besucher von Pflegebedürftigen in voll- oder teilstationären Einrichtungen einmal pro Woche getestet werden können, haben Besucher von Mieterinnen und Mietern in ambulant begleiteten Wohngemeinschaften laut der neuen Spahn-Verordnung überhaupt keinen Anspruch auf Testung. „Diese Regelung erschwert die Aufstellung neuer Besucherregelungen in höchstem Maße und wird erneut zu Besuchsverboten führen“, befürchtet Hasenau.
Vorbeugender Testanspruch von Pflegebedürftigen und
Pflegekräften in WGs wird trotz Risikolage beschränkt
Die Ermöglichung flächendeckender Tests sei jedoch dringend geboten, weil Besuchsverbote zunehmend in der Kritik und auf gerichtlichem Prüfstand stehen, so wig-Justiziar Dr. Lutz H. Michel. Dies habe unerfreuliche Folgen für die staatlichen Schutzanordnungen, wie z. B. der jüngste Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden/NRW zeige: Die von einem Heimträger angeordnete Isolation eines Bewohners gestützt auf eine Allgemeinverfügung des NRW – Gesundheitsministeriums wurde „gekippt“ (Beschluss vom 14. Oktober 2020 – 7 L 729/20 -, nicht rechtskräftig, Beschwerde zum OVG NRW statthaft). Er befürchte, so Dr. Michel, dass eine sinngemäße Erstreckung des Beschlusses des VG Minden auf Wohngemeinschaften zusätzliche erhebliche Probleme in Bezug auf die Fortführung risikogerechter Besuchsregelungen oder bei Neuregelungen von Besuchsbeschränkungen aufwerfen wird, denen nur durch vorbeugende Testungen wie in Altenpflegeeinrichtungen entgegengewirkt werden kann. Zum Hintergrund: Beispielsweise gilt in NRW die für vollstationäre Einrichtungen ergangene Corona Allgemeinverfügung des Gesundheitsministeriums vom 27.08.2020 „sinngemäß“ auch für anbieterverantwortete Wohngemeinschaften. In anderen Bundesländern ist die Rechtslage nicht weniger diffus. Nach Auffassung des Juristen bleibt insbesondere § 4 der Coronavirus-Testverordnung auf halbem Weg stehen. Dr. Lutz H. Michel: „Der vorbeugende Testanspruch von Pflegebedürftigen, die in Wohngemeinschaften leben, und Mitarbeitenden von ambulanten Diensten, die dort versorgen, wird in der Testverordnung unter Verkennung der latenten Risikolage unverständlicherweise beschränkt.“
Abwarten unzumutbar: Sofortiges Handeln geboten
Der Fachverband für Wohngemeinschaften in Deutschland warnt vor einer Zuspitzung der Situation bei ambulant betreuten Wohngemeinschaften. Zwar leben hier nicht durchschnittlich zwischen 80 und 120 Menschen wie in „Heimen“ zusammen, sondern nur jeweils maximal zwölf, jedoch ist das Infektionsrisiko nicht minder ernst. Wig-Vorstand Claudius Hasenau: „Anders als bei Pflegeheimen, in denen der Heimträger im Rahmen seiner Trägerbefugnisse handeln kann, sind die Mitarbeitenden der ambulanten Dienste, die Mieterinnen und Mieter in Wohngemeinschaften betreuen und pflegen, ,Gäste in fremden Zuhause‘. Die Dienste haben keine Anordnungsbefugnisse, weil die Mieterinnen und Mieter sowie ihre Vertretungspersonen bestimmen.“ Limitierte Schnelltests in Eigenregie orientiert am „Corona – Konzept“ des jeweiligen Dienstes hält wig für unzureichend. Auch wenn es derzeit erhebliche Probleme bei der Umsetzung der Teststrategie in Altenpflegeheimen gebe, könne dies kein Argument gegen die Einbeziehung ambulanter Dienste sein. „Die Risikolage ist erheblich“, so Claudius Hasenau: „Weiteres Zuwarten ist den Pflegebedürftigen und den Mitarbeitenden der ambulanten Dienste nicht länger zumutbar: Sofortiges Handeln ist geboten!“