Ambulant vor stationär: Will die neue NRW-Landesregierung diese Gesetzesvorgabe durch das neue „Entfesselungspaket I“ aushebeln? Das befürchtet der Fachverband wig Wohnen in Gemeinschaft NRW, die Stimme für mehr als 600 ambulant betreute Wohngemeinschaften in Nordrhein-Westfalen. Er warnt vor einem Großangriff auf die ambulanten Wohnformen durch die Hintertür.
Die Gesetzesänderung, die offiziell dem Abbau unnötiger und belastender Vorschriften im Lande dienen soll, sieht unter Paragraf 10 eine grundlegende Änderung des Alten- und Pflegegesetzes vor. Unter diesem „Deckmantel“, so der Fachverband, werde der Vorrang ambulanter vor stationärer Versorgung aufgehoben zugunsten der Formulierung: „Alle Wohn- und Pflegeangebote sind gleichberechtigt einzubeziehen.“ (§1 Absatz 2 Satz 4). Der wig Vorsitzende Claudius Hasenau, Gelsenkirchen, sieht darin „einen klammheimlichen Vorzeichenwechsel in der Sozialpolitik – ohne demokratische Diskussion und ohne breite Einbeziehung der Beteiligten im Vorfeld“. Hasenau: „Getarnt als Bürokratieabbau nimmt die neue Landesregierung eine wesentliche Änderung der Ausrichtung in der Pflegepolitik des Landes vor. Das ist ein Angriff auf den Kernbereich bewährter Altenpflegepolitik in NRW, der unbedingt gestoppt werden muss.“
Gesetzgebung im Hauruck-Verfahren
In der Öffentlichkeit wird das „Entfesselungspaket I“ bisher im Wesentlichen mit den Themen Ladenschlussgesetz, Korruptionsbekämpfung und Abschaffung der Hygiene-Ampel in Verbindung gebracht. Unter dem Deckmantel der Diskussion über diese populären Themen vollziehe sich im Alten- und Pflegegesetz eine „nicht nachvollziehbare Kehrtwende, die die neuen Wohnformen schwächt“, warnt der Rechtsanwalt und WG-Rechtsexperte Dr. Lutz H. Michel FRICS, Justiziar des Fachverbandes, über die Änderungspläne. Dr. Michel: „Die ambulanten Anbieter müssen schnellstmöglich erkennen, was hier geschieht, und jetzt handeln! Wir brauchen keine Hauruck-Gesetzgebung, sondern eine intensive Diskussion.“ Der Fachverband fordert, von der Änderung abzusehen und in einen umfassenden öffentlichen Diskurs einzutreten.
Ein Schlag ins Gesicht der Angehörigen
Werden die Gesetzesänderungen im Landtag verabschiedet, werde dies die Position der Anbieter ambulant betreuter Wohngemeinschaften auf lange Sicht hin weiter erschweren, sagt der wig Vorsitzende Claudius Hasenau voraus: „Das ist ein Schlag ins Gesicht aller Angehörigen von Mieterinnen und Mietern in Wohngemeinschaften!“ Die Verhandlungen mit der Sozialverwaltung über Qualitäts- und Leistungsvereinbarungen oder die Kosten der Unterkunft seien schon jetzt extrem langwierig und für die Anbieter ohne juristischen Beistand kaum erfolgreich zu führen. Diese abschreckende Tendenz, so Hasenau, werde sich durch das „Entfesselungspaket“ weiter verstärken.
Fachverband macht mobil
Dem Fachverband wig, der 2017 sein zehnjähriges Bestehen feiert, komme bei der Aufklärung über die möglichen Folgen der Gesetzesänderung eine besondere Verantwortung, so Hasenau. Er kündigte eine Öffentlichkeitskampagne gegen die Änderungspläne der Landesregierung an. Claudius Hasenau: „Der wig Jahreskongress 2017 wird dieses Thema aufgreifen. Noch nie war es für Anbieter ambulanter Wohnformen so wichtig, sich zu organisieren, um rückwärtsgewandten Tendenzen in der Alten- und Pflegepolitik entschieden begegnen zu können.“ Der wig Jahreskongress findet am Donnerstag, 16. November 2017, im Hotel Courtyard by Marriott in Gelsenkirchen statt. Er steht unter dem Motto „Finden, binden, qualifizieren: Erfolgreiche Personalgewinnungsstrategien für ambulant betreute Wohngemeinschaften“. Die Teilnahme für wig Mitglieder kostet 100,- Euro, Nicht-Mitglieder zahlen 300,- Euro pro Person inklusive Catering und Tagungsunterlagen.