Private Anbieter fühlen sich als Tarifgegner an den Pranger gestellt: WG-Fachverband kritisiert „Wahlkampf auf dem Rücken der Pflegekräfte“
Gelsenkirchen, im Mai 2021. Scharfe Kritik äußert der Fachverband wig Wohnen in Gemeinschaft an den Plänen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Danach sollen ambulante Dienste nur noch dann mit der gesetzlichen Pflegekasse Leistungen abrechnen dürfen, wenn sie ihre Mitarbeitenden nach einem geltenden Tarifvertrag entlohnen. „Die Bundesregierung macht mit einem weiteren Adhoc-Gesetz Wahlkampf auf dem Rücken der Pflegekräfte“, sagt der wig-Vorsitzende Claudius Hasenau zum „Tag der Pflege 2021“ am 12. Mai. Erneut würden „mit der Brechstange“ gesetzliche Regelungen durchgedrückt, die sich gut anhören, die aber das seit Jahren bestehende Problem einer leistungsgerechten Entlohnung in der ambulanten Pflege nicht lösen. Hasenau: „Pflegedienste haben kein Problem mit höheren Löhnen für ihre Leistungsträger. Sie haben seit Jahr und Tag Probleme, diese Kosten in den Pflegesatzverhandlungen gegenüber den Kranken- und Pflegekassen sowie den Kreisen und kreisfreien Städten durchzusetzen.“
Der Fachverbandsvorsitzende, selbst Geschäftsführer eines Pflege- und Gesundheitsdienstes mit rund 450 Mitarbeitenden, sieht in der Diskussion insbesondere die privaten Pflegeanbieter an den Pranger gestellt. „Alle seriös arbeitenden Pflegedienste wollen ihre Mitarbeitenden gut bezahlen und auf diese Weise binden“, so der Gelsenkirchener. Dies sei angesichts des herrschenden Pflegenotstands eine Selbstverständlichkeit, denn der Arbeitskräftemarkt sei praktisch leergefegt. Seine Unternehmensgruppe bezahle sämtliche Pflegekräfte nach einem eigenen Haustarif und entwickele ständig neue Anreizsysteme zur Verbesserung der Mitarbeiterzufriedenheit, zum Beispiel die Einführung der Zusatzversorgungskasse (Betriebsrente) als zusätzliche Altersversorgung, Zuschüsse zum Besuch eines Fitness-Centers, die Subventionierung von Jobrädern oder Gesundheitsreisen. Trotzdem: „Wir können nicht alle offenen Stellen zeitnah neu besetzen.“
Vorhandene Gesetze endlich anwenden
Das geplante Gesetz fokussiere einseitig auf die Pflicht zur tariflichen Bezahlung, so der wig-Justiziar Dr. Lutz H. Michel. Dabei gehe es doch vielmehr um die Anerkennung einer leistungsgerechten Vergütung der häuslichen Pflege, die die Sozialhilfeträger, Kranken- und Pflegekassen trotz gesetzlicher Vorschriften seit vielen Jahren geradezu sträflich vernachlässigt hätten. Dr. Michel: „In NRW gilt beispielhaft bereits seit 2018 das Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen. Dieses muss von den Kostenträgern endlich auch angewendet werden!“ Das gelte auch für die Sozialhilfeträger in Bezug auf die Anerkennung von Kosten.
Refinanzierung unbürokratisch regeln
Statt auf diese Fragen eine dauerhafte und zukunftsfähige Antwort zu finden, mache die Politik lieber Stimmung mit dem Täterprofil „Böse private Arbeitgeber, die nicht tarifgerecht bezahlen wollen“. Wig-Chef Claudius Hasenau wehrt sich gegen diese Diffamierung: „Wir fordern – falls es tatsächlich zu diesem Schnellschuss kommt – eine für die Kostenträger verpflichtende gesetzliche Regelung zur Refinanzierung der zusätzlichen Gehaltskosten. Die Refinanzierung muss schlank, klar und unbürokratisch geregelt sein, damit Pflegeanbieter nicht erst Fachanwälte und Wirtschaftsgutachter beauftragen müssen, ihre Ansprüche gegenüber Kommunen oder Kassen durchzusetzen.“