Geänderter Referentenentwurf nach Verbändeanhörung folgt Argumentation von wig Wohnen in Gemeinschaft und IPV Ambulanter Intensivpflegeverband Deutschland in allen Punkten – Vorstände: „Novellierung ist nun geeignet,
bestehende WG‘en zu erhalten und Neugründungen zu entfesseln“
Erfolg auf ganzer Linie! Im Konflikt um eine Benachteiligung von Pflege-Wohngemeinschaften in NRW durch die geplante Novellierung des Wohn-Teilhabe-Gesetzes haben die führenden Bundesverbände für Wohngemeinschaften mit Betreuungsleistungen und die ambulante außerklinische Intensivpflege – wig Wohnen in Gemeinschaft e.V. (wig) und Ambulanter Intensivpflegeverband Deutschland (IPV) – die NRW-Landesregierung durch scharfe Kritik zu einer Kehrtwende veranlasst. Nach einer ersten Sichtung des überarbeiteten Referentenentwurfs nach der Verbändeanhörung zogen die Fachverbandsvorstände Claudius Hasenau (wig) und Stephan Kroneder (IPV) erste Bilanz: „Die NRW-Pflegepolitiker sind auf den Pfad der Tugend zurückgekehrt. Die Kastration der Wohngemeinschaften ist vom Tisch. Die Novellierung sollte nunmehr geeignet sein, die bestehenden Wohngemeinschaften mit Betreuungsleistungen zu erhalten, insbesondere die für intensivpflegebedürftige Nutzerinnen und Nutzer, und die Initiierung ortsnaher, kleinteiliger und menschenzentrierter gemeinschaftlicher Wohn- und Betreuungs- und Pflegeangebote zu entfesseln.“
Die vehemente Kritik der beiden Verbände an der Novellierung habe Früchte getragen, zeigten sich Hasenau und Kroneder erfreut über den Erfolg der in einer gemeinschaftlichen Stellungnahme vorgetragenen Intervention. Diese galt insbesondere der unscharfen Definition der Einrichtungen mit umfassendem Leistungsangebot (EULA’s) und den „Verschlimmbesserungen“ bei der Abgrenzung von EULA’s und Wohngemeinschaften. Besonders erbittert bekämpften wig und IPV die Einführung des Begriffs „Interaktionsfähigkeit“ als Merkmal einer „WG-Fähigkeit“, die weite Personenkreise von der Möglichkeit, in Wohngemeinschaften zu leben, ausschloss.
WG gekennzeichnet durch „unvollständiges Leistungsbild“
Der geänderte Referentenentwurf folgt nun der wig- und IPV-Forderung, den Begriff der EULA maßgeblich an der obligatorischen Vollversorgung in allen Bereichen und nicht nur an der „Hauswirtschaft“ zu orientieren. Dazu soll § 18 Abs. 1 Nr. 2 WTG um den Terminus „umfassende Gesamtversorgung zwingend gewährleisten“ erweitert werden. Die Gesetzesbegründung hebt jetzt ausdrücklich auf das „unvollständige“ Leistungsbild von Wohngemeinschaften ab, das diese von Vollversorgungsangeboten mit einer „Gesamtversorgung“, also den EULA’s, abgrenzt. „Diese Formulierung lässt den Wohngemeinschaften und den Leistungsanbietern den Freiraum, der ihnen erlaubt, modulare Angebote für Personen mit den unterschiedlichsten Bedarfslagen zu schaffen,“ bewertet der wig-Vorsitzende Claudius Hasenau die Gesetzespassage.
Merkmal der „Interaktionsfähigkeit“ ist vom Tisch
Durchsetzen konnten sich wig und IPV auch mit ihrer zweiten Forderung, in § 24 WTG Personen mit bestimmten Betreuungs- und Pflegebedarfen nicht vom Leben in Wohngemeinschaften auszugrenzen. Der von beiden Fachverbänden scharf kritisierte Referentenentwurf hatte intensivpflegebedürftige Menschen durch das Merkmal der „Interaktionsfähigkeit“ vom Leben in Wohngemeinschaften ausgeschlossen. Diese Forderung verstieß nicht nur gegen die UN-Behindertenrechtskonvention in Bezug auf die individuelle Wahlfreiheit der Rechts-, Wohn- und Versorgungsform. Die Forderung widersprach auch dem von der Landesregierung selbst postulierten Ziel, dass jeder Pflegebedürftige bestimmen können muss, wie und wo er wohnen, gepflegt und betreut werden will. In den Augen von Stephan Kroneder, Präsident des IPV, hat diese Kehrtwende auch bundesweite Bedeutung: „Die außerklinische Intensivpflege muss nach dem Willen der Patienten und ihrer Angehörigen in Vielfalt möglich sein. Hätte die NRW-Landesregierung ihre anfängliche Idee ins Gesetzgebungsverfahren eingebracht, so hätte dies bundesweit katastrophale Signale gesetzt. Wir sind froh, das den tausenden Menschen, die in Wohngemeinschaften intensivpflegerisch versorgt werden, ihr Wahlrecht belassen werden soll und sie nicht zwangsweise in Heimstrukturen zurückgeworfen werden.“ Claudius Hasenau ergänzt: „Wir begrüßen es sehr, dass damit auch Wohngemeinschaften in diesem Bereich weiterhin als Teil der Regelversorgung‘ bestehen können und die vielen Gründungsimpulse in NRW nicht im Keim erstickt werden.“
„Schwarze Schafe“ ausmerzen – „Grauzone“ beseitigen
Bestätigt sehen sich WIG und IPV auch in ihren Bemühungen, „schwarze Schafe“ und „Grauzonenangebote“ auszumerzen. „Wohngemeinschaften verdienen nur dann ihren Namen und haben nur dann ihre Berechtigung als ,alternative‘ Wohnformen, wenn ,gemeinschaftliches Zusammenleben‘ auch tatsächlich gegeben ist“, kommentiert Rechtsanwalt Dr. Lutz H. Michel FRICS aus Hürtgenwald, der die beiden Fachverbände in ordnungs- und immobilienrechtlichen Fragen unterstützt und auch im Zuge der WTG-Novellierung berät. Dr. Michel: „Dass Nutzerinnen und Nutzer auch durch Vertreter handeln können, ist logische Konsequenz. Die gesetzliche und rechtsgeschäftliche Vertretung und das tatsächliche Mitwirken von Angehörigen in den Wohngemeinschaften sind wesentliche Elemente, Schutzbedarfe zu erfüllen und Lebensqualität für die in Wohngemeinschaften lebenden Menschen zu schaffen.“
Die Berliner Rechtsanwältin Anja Hoffmann, die u.a. den IPV anwaltlich berät, ergänzt: „Insbesondere durch die neue Abgrenzung von selbstverantworteten und anbieterverantworteten Wohngemeinschaften, die dahin geht, dass es auf das tatsächliche Zusammenleben ankommt, wird Qualität und Sicherheit geschaffen – unter Berücksichtigung der gelebten Realitäten.“ Anja Hoffmann und Dr. Lutz H. Michel werden ihren Fachverbänden deshalb in den nächsten Wochen eine detaillierte Analyse des Regierungsentwurfs vorlegen, damit ggf. noch vorhandene Schwachpunkte optimiert werden können.
Mehr Gewicht für die Angehörigen
Viertens begrüßen beide Verbände die stärkere Gewichtung der Einschätzungen der Nutzerinnen und Nutzer und ihrer Angehörigen bei der Statuseinordnung. Claudius Hasenau: „In allen Wohngemeinschaften, die wir mit unseren ambulanten Diensten begleiten und die allesamt anbieterverantwortet sind, kommt es entscheidend auf die Integration der Angehörigen an: Sie sind als zweite Gruppe neben den NutzerInnen die „Entscheider“ und „Wegweiser“ – und wir wollen und können ihre Meinung nicht missen.“
Verbandsmitglieder intensiv in Gesetzgebungsprozess einbinden
Beide Verbände werden sich noch detailliert mit dem Regierungsentwurf auseinandersetzen. Zudem werden sie ihre Mitglieder und die Fachöffentlichkeit intensiv in den weiteren Gesetzgebungsprozess einbinden, um den Wohngemeinschaften in NRW und allen anderen Bundesländern den angemessenen Stellenwert als notwendige Bestandteile einer menschenzentrierten Pflegeinfrastruktur zu verschaffen und sie im Angebotsspektrum zu stärken.
Der Gesetzentwurf steht unter folgendem Link zum Download bereit:
https://wig-nrw.de/wp-content/uploads/2018/10/WTG-ÄnderungsG-LTDrs.-17.3777-MMD17-3777.pdf
WICHTIGER Termin – BITTE MERKEN
wig & IPV laden ein: Praxisseminar macht fit für das kommende WTG!
Endlich verständlich! Am Dienstag, 20. November 2018, bieten die Fachverbände wig und IPV ein gemeinsames Praxisseminar zur WTG-Novellierung an. Rechtsanwalt Dr. Lutz H. Michel FRICS wird aus dem Gesetzgebungsverfahren berichten, den aktuellen Stand der parlamentarischen Beratung darstellen und aufzeigen, was die WTG-Änderungen für die Leistungsanbieterinnen und Leistungsanbieter, aber auch für die Nutzerinnen und Nutzer bedeutet. Besonderes Augenmerk legt der Referent darauf, was nun zu tun ist. Das Spezialseminar ist eine Veranstaltung der wig Akademie für Wohngemeinschaften. Es beginnt um 10 Uhr in der wig-Geschäftsstelle, Pastoratstraße 1, 45879 Gelsenkirchen. Teilnahmegebühr für Mitglieder 195,- EUR, für Gäste 249,- EUR.