Kein Vorsitzender für Verfahrensgestaltung, Schriftsätze bleiben unbearbeitet, Anträge stapeln sich: Fachverband wig unterstützt Detmolder Pflegedienst bei Musterklage gegen das Land – wig-Justiziar: „Anbieter sind auf Schiedssprüche angewiesen sind und werden faktisch finanziell ausgehungert“.
Seit Beginn des Jahres 2022 ist die vom Land NRW aufgrund der Vorgaben des § 80 SGB XII gebildete Schiedsstelle handlungsunfähig. Es gibt keinen Vorsitzenden, dem die Funktion der Verfahrensgestaltung obliegt. Schriftsätze werden nicht bearbeitet, Anträge bleiben liegen. „Den Pflegediensten wird der Rechtsschutz verweigert“, kritisiert der wig-Vorsitzende Claudius Hasenau. „Die Dienste werden durch diesen unhaltbaren Zustand faktisch finanziell ausgehungert.“ Aus diesem Grund hat sich der WG-Fachverband entschlossen, „Die Pflege GmbH“ aus Detmold, einen privaten ambulanten Pflegeanbieter aus dem Lipper Land, bei einer Klage gegen das Land NRW zu unterstützen.
Weder die Landesregierung noch die zuständige Rechtsaufsichtsbehörde oder die Schiedsstelle selbst scheinen gewillt zu sein, der Misere ein Ende zu setzen, hat wig-Justiziar Dr. Lutz H. Michel beobachtet. Dabei habe das Land der Schiedsstelle eine zentrale Aufgabe zugewiesen. Sie soll u.a. über Leistungs-, Qualitäts- und Vergütungsvereinbarungen „richten“, die zwischen Leistungsanbietern und Sozialhilfeträgern abzuschließen sind. Bleibt die Schiedsstelle tatenlos, sind ambulante Leistungserbringer blockiert, kostengerechte Vergütungen zu erstreiten.
Unhaltbarer Zustand muss unverzüglich beendet werden
Felix Buba, Geschäftsführer von „Die Pflege GmbH“, hat sich deshalb entschlossen, mit wig-Schützenhilfe juristisch gegen diese Untätigkeit vorzugehen. Das wig-Mitgliedsunternehmen begleitet mehrere ambulant betreute Wohngemeinschaften, für die es solche Vereinbarungen in Schiedsverfahren anstrebt. Im Namen des Unternehmens klagt wig-Justiziar Dr. Lutz H. Michel als Prozessbevollmächtigter gegen die Landesregierung und ihre Rechtsaufsichtsbehörde sowie die Schiedsstelle selbst, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, diesen unhaltbaren Zustand zu beenden.
15.000 Euro pro Monat vorfinanziert
Für den ambulanten Dienst aus dem Lipper Land ist die Situation schon jetzt katastrophal. Und sie wird ab 1. September.2022, wenn die Personalkosten in Folge des Tariftreuegesetzes bei dem Unternehmen um mehr als 30 % ansteigen werden, noch katastrophaler. Felix Buba, der Geschäftsführer des Dienstes: „Ohne eine tragfähige Leistungs- und Qualitätsvereinbarung mit gestehungskostengerechten Vergütungen sind wir spätestens ab September nicht mehr in der Lage, die von unseren Nutzer*innen gewünschten Versorgungssettings aufrechtzuerhalten.“ Durch die seit Jahresbeginn weggefallene Funktionsfähigkeit der Schiedsstelle werde der Pflegedienst als „Bank“ für den zuständigen Sozialhilfeträger missbraucht. Felix Buba: „Wir finanzieren mindestens rd. 15.000 € im Monat für den Sozialhilfeträger vor“.
NRW-Pflegeminister lehnt Hilfe ab
Bereits vor Wochen hatte sich Buba mit dem Problem an NRW – Pflegeminister Karl-Josef Laumann (CDU) gewandt – ohne Erfolg. Das Ministerium sieht sich augenscheinlich nicht in der Lage, die Schiedsstelle wieder „flottzumachen“. Stattdessen verweist das Land den Dienst an seinen Verband, der es richten könne und solle. Buba: „Das ist wirklich zynisch.“
„Rechtsstaatswidrige Duldung“
Schließlich handelt es sich bei der Schiedsstelle um eine Landeseinrichtung. „Was hier stattfindet, ist eine rechtsstaatswidrige Duldung von Rechtsschutzverweigerung zu Lasten eines ambulanten Dienstes, der zwingend auf eine tragfähige Vereinbarung mit seinem Sozialhilfeträger angewiesen ist. Dem muss schleunigst ein Ende gesetzt werden“, fordert deshalb der wig-Vorsitzende Claudius Hasenau.
Einzige Option: eine Klage gegen das Land
Der Prozessbevollmächtigte des klagenden Dienstes, wig-Justiziar Dr. Lutz H. Michel, unterstreicht: „Wenn Behörden nicht in der Lage sind, sich so zu organisieren, dass sie den ihnen zugewiesenen Funktionen nachkommen können, ist die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe die einzige Option. Wir erwarten sehr, dass das kurzfristig hilft!“. Alle Beteiligten hoffen, dass sich das Gericht der Sache sehr schnell annimmt, um einen auch pflegepolitisch unhaltbaren Zustand abzustellen und dessen Folgen zu verhindern, nämlich die Kündigung aller Vereinbarungen mit (potenziellen) Sozialhilfeempfängern. Dafür, dass sie bei dem gegenwärtigen Pflegenotstand in eine häusliche Unterversorgung geschickt werden, hat Claudius Hasenau klare Worte: „Für uns ist dies ein sozial- und pflegepolitischer Offenbarungseid der noch amtierenden NRW Landesregierung und ihres Pflegeministers – fünf Tage vor der Landtagswahl!“.