Der Fachverband für ambulant
begleitete Wohngemeinschaften
5. Oktober | Aktuelles, News

Reform der Pflegeversicherung: Wird Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zum Totengräber der Wohngemeinschaften?

WG-Fachverband wig Wohnen in Gemeinschaft: Änderungen im Leistungsrecht bedrohen ambulant betreute WGs in ihrer Existenz – Vollstationäre Unterbringung wird massiv privilegiert – WG-Angebot wird zu Lasten der Pflegebedürftigen erheblich benachteiligt

Gelsenkirchen, 5. Oktober 2020. Wird Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zum Totengräber der ambulant begleiteten Wohngemeinschaften? Diese Befürchtung äußert der Fachverband wig Wohnen in Gemeinschaft nach den von Spahn in der „Bild am Sonntag“ vom 4. Oktober angekündigten Änderungen der gesetzlichen Pflegeversicherung, die in Gestalt der Kappung der Eigenanteile der Pflegebedürftigen eine massive Subventionierung vollstationärer Pflegeheime zu Lasten der Steuerzahler bedeuten. „Die Reform bedroht ambulant betreute Wohngemeinschaften in ihrer Existenz“, warnt der wig-Vorsitzende und Pflegeunternehmer Claudius Hasenau: „Das neue Leistungsrecht stellt eine massive Privilegierung vollstationärer Pflegeeinrichtungen zu Lasten der häuslichen Versorgung insbes. in ambulant betreuten Wohngemeinschaften dar.“

Das künftige Leistungsrecht müsse stattdessen so gestaltet werden, dass es nicht zu einer Benachteiligung dieser wichtigen Pflegealternative komme, fordert der WG-Fachverband. Schon heute sei diese Wohn- und Lebensform eine bedeutende Alternative zu anderen Pflegeangeboten. Sie müsse mit gesicherten finanziellen Mitteln ausgestattet werden, damit sie als weiter als Regelangebot die Lebenssituation pflegebedürftiger Menschen und deren Angehörige stärken kann. Claudius Hasenau: „Andernfalls werden wir in der Preisgestaltung ein Delta von ca. 200% haben. Damit ist das Angebot nicht mehr marktfähig. Spätestens dann wird der Sozialhilfeträger aufgrund unverhältnismäßiger Mehrkosten eine staatlich angeordnete Heimunterbringung im Zusammenhang mit den Leistungen der Hilfe zur Pflege vornehmen. Das wäre eine Reform zu Lasten pflegebedürftiger Menschen in Deutschland.“ Insofern plädiert wig auch für die Befreiung der kommunalen Körperschaften von den Kosten der Hilfe zur Pflege.

WG als Wohn- und Lebensform in den Kanon der Pflegeversicherung aufnehmen

Hasenau verweist in diesem Zusammenhang auf den Abschlussbericht der vom Bundesministerium für Gesundheit im Mai 2017 in Auftrag gegebenen Studie „Ambulant betreute Wohngruppen – Bestanderhebung, qualitative Einordnung und Handlungsempfehlungen“. Danach waren in Deutschland zum damaligen Zeitpunkt bereits ca. 3.120 ambulant betreute Wohngemeinschaften in Deutschland als Alternative zum stationären Pflegebereich gegründet wurden, allein 2.500 davon für Menschen mit Demenz. Die Anzahl der ambulant betreuten Wohngemeinschaften machte 2017 bereits mehr als 20 % der vollstationären Pflegeeinrichtungen aus, in den vergangenen Jahren seien viele weitere hinzugekommen. Hasenau: „Dieser Wert dokumentiert die Bedeutung der neuen Wohnform und ihre Akzeptanz als Angebot. Es ist höchste Zeit diese Wohn- und Lebensform gleichberechtigt in den Kanon der Pflegeversicherung aufzunehmen und mit der Wahlfreiheit der Pflegebedürftigen Ernst zu machen.“

Reform beseitigt Wahlfreiheit der Pflegebedürftigen
Dies gebiete auch die vorhandene Angebotslücke: Etwa 20 Prozent der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen wünschen sich eine WG – Versorgung, aber nur für etwa drei Prozent sind Plätze vorhanden. Dazu wig-Justiziar Dr. Lutz H. Michel: „Die Pläne von Jens Spahn laufen auf eine faktische Beseitigung der im geltenden Pflegeversicherungs- und Sozialhilferecht angelegten Wahlfreiheit der Pflegebedürftigen hinaus, was auch verfassungsrechtlich höchst bedenklich ist.“

Kappung von Eigenanteilen muss sich auch auf WGs erstrecken
Das Angebot werde zunichte gemacht, wenn die Reform der Pflegeversicherung die vollstationären Pflegeeinrichtungen zum Nachteil der ambulant betreuten Wohngemeinschaften im Leistungsrecht massiv privilegiere. Claudius Hasenau: „Wohngemeinschaften sind kein Billigangebot, sondern in der Preisgestaltung als qualitätsgesichertes Angebot ähnlich kostenintensiv wie vollstationäre Pflegeeinrichtungen. Eigenanteile für Pflege- und Betreuungsleistungen liegen durchaus auch um die 2.000,00 € im Monat.“ Diese Fakten seien in den bisher bekannten Änderungsvorschlägen zur Pflegeversicherung nicht berücksichtigt worden. Hasenau: „Wenn eine Kappung von Eigenanteilen angedacht wird, dann muss sich diese auch auf Wohngemeinschaften erstrecken.“

WG-Anbieter in Klärung von Detailfragen einbinden
Spahn verspreche eine „große Reform“, so Verbandschef Claudius Hasenau. Eine Kostendeckelung für Heimbewohner, höhere Löhne für Pflegekräfte und eine Leistungsverbesserung für pflegende Angehörige seien ihre wesentlichen Inhalte. Dynamisierungen der Leistungen der Pflegeversicherung runden das Reformbild ab. Hasenau: „Bei oberflächlicher Betrachtung lassen sich diese Reformvorschläge gut darstellen, doch für die WG-Anbieter selbst steckt der Teufel wie immer Detail.“ In die nun notwendige Klärung der Detailfragen müssen alle beteiligten Pflege- und Wohnformen eingebunden werden, so der wig-Vorsitzende. Der Fachverband wig Wohnen in Gemeinschaft werde deshalb die Diskussionen um die Reform der Pflegeversicherung aufmerksam begleiten und mit seinen Partnern versuchen, notwendige Verbesserungen in das Reformwerk einfließen zu lassen.