Der Fachverband für ambulant
begleitete Wohngemeinschaften
16. März | News

WG-Begleitung in Zeiten des Corona-Virus – Orientierungshilfen im Dschungel der aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen

Wenn NRW – Ministerpräsident Armin Laschet im ZDF sagt, CORONA sei die „größte Herausforderung seit es NRW gibt“, so gilt das nicht nur für NRW, sondern für alle Länder und mindestens auch genauso für die ambulante Pflege. Für die ambulanten Dienste ist es sicherlich die größte Herausforderung seit ihrer Existenz. Dies betrifft sowohl die Dienste, die „nur“ Tourendienste fahren, als auch diejenigen, die ambulant betreute Wohngemeinschaften begleiten und/oder teilstationäre Angebote haben, z.B. Tagespflegen. Dr. Lutz H. Michel FRICS, Justiziar des Bundesverbandes wig Wohnen in Gemeinschaft, stellt mit dem nachfolgenden Text eine Arbeitshilfe für Begleiter von Wohngemeinschaften bereit, der einige Schneisen in den „Rechtsdschungel“ schlagen soll und die Themenbereiche adressiert, die für die Tätigkeit ambulanter Dienste besondere Relevanz haben, ausgerichtet an Schutzzielen, die für die ambulanten Dienste von Bedeutung sind. WIG bedankt sich bei Herrn Rechtsanwalt Dr. Lutz H. Michel FRICS, der diese Arbeitshilfe konzipiert und zusammen mit wig entwickelt hat.

1. Generelle rechtliche Maßgaben
Jeder ambulante Dienst muss das „Schutzziel-Dreieck“ präsent haben:
Schutz der Mietarbeiter, um die Versorgung der Klienten zu gewährleisten,
Schutz der Patienten, um Leib und Leben der betreuten Personen zu sichern,
Schutz des Unternehmens an sich, um Mitarbeiter wie Unternehmensleitung vor rechtlicher Haftung – gleich welcher Art –  abzusichern.

1.1 Schutz der Mitarbeiter

Ohne Mitarbeiter*innen gibt es keine Versorgung von Kunden. Dem Schutz der Mitarbeiter dienen die Vorschriften des Arbeits- und Arbeitsschutzrechts. Im hier relevanten Kontakt sind zu nennen: Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG), Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV), Arbeitszeitgesetz (ArbZG), Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV), Biostoffverordnung (BioStoffV), Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG), Medizinproduktegesetz (MPG) sowie die Verordnung über arbeitsmedizinische Vorsorge (ArbMedVV).

Diese Vorschriften konkretisieren die allgemeine Schutzpflicht des Arbeitgebers. Insbesondere die Arbeitszeitvorschriften und die allgemeinen Selbstschutzanforderungen sind zu beachten – auch bei sich verschärfenden Gesamtumständen, was die Verfügbarkeit von Mitarbeiter*innen angeht. Ausnahmeregelungen sind, soweit vorhanden, nutzbar. Dies bedingt Gefährdungsabschätzungen, die Einführung von „Standards & Procedures“ und deren Befolgung. Dies ist im Übrigen bußgeldbewehrt. Eine Art „übergesetzlicher Notstand“, der von allem befreit, dürfte ohne Weiteres nicht anerkannt werden.

Einen guten Überblick in Sachen Arbeitsschutz gibt die Internet – Homepage des Landes Sachsen: https://www.arbeitsschutz.sachsen.de/355.htm

Dazu kommen die spezielleren hygiene- und infektionsschutzrechtlichen Bestimmungen, insbes. das Infektionsschutzgesetz (IfSG) nebst Durchführungsverordnungen, das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch, die Lebensmittelhygiene-Verordnung und die Verordnung über Anforderungen an die Hygiene beim Herstellen, Behandeln und Inverkehrbringen von bestimmten Lebensmitteln tierischen Ursprungs.

Selbstschutz ist im Wesentlichen Infektionsschutz. Die lebensmittelrelevanten Regelungen können in ambulanten Wohngemeinschaften und Tagespflegeeinrichtungen, die ambulante Dienste betreiben, vermehrt wegen des gestiegenen Risikoniveaus relevant werden (Stichwort: „Der Pflegedienst als Lebensmittelproduzent!?“). In Bezug auf die Infektionshygiene sei explizit erwähnt, dass von Gesetzes wegen die „Leiter“ ambulanter Pflegedienste, die ambulante Intensivpflege in Einrichtungen, Wohngruppen oder sonstigen gemeinschaftlichen Wohnformen erbringen, innerbetriebliche Verfahrensweisen zur Infektionshygiene in Hygieneplänen festlegen müssen, was aber faktisch – teilweise heimrechtlich und / oder durch untergesetzliche Regelungen sowie „Standards“ – nicht nur nicht für andere ambulant betreute Wohnformen, sondern auch innerbetrieblich für die Dienste gilt.

Einen Überblick gibt es auf der Homepage des Bayerisches Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit: https://www.lgl.bayern.de/gesundheit/hygiene/index.htm

Weiter ist zu erwähnen, dass das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt ist, im Pandemiefall spezielle Rechtsverordnungen zu erlassen:
Verordnung nach § 15 Absatz 1 und 2  IfSG,  mit der die Meldepflicht an die epidemische Lage angepasst wird,
Verordnung nach §  20 Absatz 4 IfSG, mit der die Kostentragung für die Schutzimpfung in der GKV geregelt wird,
Verordnung nach §  20 Absatz 6 IfSG, mit der ggf. eine Impfpflicht eingeführt werden kann.

Dies wird kommuniziert; ein gesondertes Monitoring ist nicht geboten.

Im Falle von Mangellagen (Schutzkleidung, Desinfektionsmittel, Mundschutz) sind die zuständigen Gesundheits-, ggfls. auch Heimaufsichten wie auch die Pflege-und Krankenkassen, sofern durch Versorgungen involviert, zu informieren. Unterstützung ist anzufordern, sofern die Beschaffung durch den Dienst nicht oder nur zu „erpresserischen“ Konditionen möglich ist.

1.2 Schutz der Klienten

Der Schutz der versorgten Klienten richtet sich im Großen und Ganzen nach denselben Regelungen, insbes. des Infektionsschutzrechts: Mitarbeiterschutz ist zugleich auch Patientenschutz. Gesondert zu erwähnen sind heimordnungsrechtliche Regelungen, die – fallen ambulante Dienste unter Landesheimrecht, was (leider) föderal unterschiedlich ist – zusätzliche Anforderungen und vor allem auch Verordnungsermächtigungen u.a. beinhalten, die anlassbezogen spezifische Regelungen für spezielle Fallkonstellationen und auch Risikolagen beinhalten können.

Zu beachten ist zudem, dass in der momentanen Krisenphase eine Fülle von Ordnungsverfügungen auch in der Form der sog. Allgemeinverfügung (gerichtet an den, den es angeht) ergangen sind und auch ergehen, die risikoadjustierte Anordnungen für bestimmte Konstellationen enthalten. So haben z. B. Schleswig – Holstein und NRW wie auch Bayern derartige auf § 28 IFSG gestützte Allgemeinverfügungen erlassen bzw. die zuständigen Behörden dazu angewiesen. Hierüber werden die Dienste i. d. R. durch die zuständigen Behörden informiert.

Zu erwähnen ist ergänzend, dass Verstöße in aller Regel bußgeldbewehrt sind. Dies betrifft in aller Regel neben den „Heimen“ die Wohngemeinschaften, die der Heimaufsicht unterfallen. Begleitern von „selbstorganisierten/selbstverantworteten Wohngemeinschaften“ ist angesichts der identischen Risikolage, die nicht von der heimrechtlichen Qualifikation der Wohngemeinschaft, sondern von der faktischen Corona-Gefährdung abhängt, dringend zu empfehlen, sich an den Anforderungen an anbieterverantwortete Wohngemeinschaften zu orientieren. Dies kann mit dem Argument des Klienten- wie aber auch Mitarbeiterschutzes erfolgen. Die Dienste haben sich zu vergegenwärtigen, dass sie und nicht die Angehörigen oder Zugehörigen die fachlich kompetenten Akteure auch in diesen Wohngemeinschaften sind. Ungeachtet der Frage von Garantenstellungen, sollten sich die Dienste nicht dem Vorwurf aussetzen, sich auf die „zugehende Pflege und Betreuung“ zurückzuziehen und die Nutzer/Mieter wie auch die Angehörigen alleine zu lassen.

1.3 Unternehmensschutz / Schutz von Unternehmensleitungen

Auch für ambulante Dienste gilt das allgemeines Haftungsrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie das Strafrecht. Wegen der hohen Sensibilität der im Zug der Corona-Bekämpfung untersagten Verhalten oder vorgegebenen Verhaltensanforderungen sind die Straf- und Bußgeldvorschriften der relevanten Gesetze im Blick zu halten. Es ist zu erwarten, dass angesichts der aktuellen Gefährdungslage von diesen Instrumenten auch Gebrauch gemacht wird. Ordnungswidrigkeitenverfahren sind i. d. R. unternehmensbezogen, wohingegen Strafrecht personenbezogen, konkret: unternehmerbezogen ist. Dies zwingt zum betrieblichen Risikomanagement: Wer sich – auch jetzt noch – gründlich Gedanken macht, aber trotzdem eine „falsche“ Entscheidung trifft oder getroffen hat, weil er etwas übersehen hat, ist besser dran als der, der sich keine oder nur oberflächliche Gedanken gemacht hat.

2. Spezielle Hinweise in Bezug auf die Begleitung von Wohngemeinschaften

In der Begleitung von Wohngemeinschaften sind besonders folgende Aspekte zu beachten:

2.1 Risikomanagement

Auch wenn es sich um die Begleitung selbstverantworteter Wohngemeinschaften handelt, sollte ambulante Dienste den Blick „über den Zaun“ auf die Stationären werfen: Die dort zu findenden Planungen und Konzepte sind grundsätzlich übertragbar. Das gilt z. B. für den „Pandemie – _Maßnahmenplan in Vorbereitung auf einen Ausbruch Influenza / SARS-CoV-2“ der Adolphi – Stiftung
Download: http://www.altenheim.net/Produkte/Downloads

Bei „anbieterverantworteten Wohngemeinschaften“ ist dies i. d. R. auch heimrechtlich geboten. Dienste, die Betreuungs- und Pflegeleistungen in selbstverantworteten Wohngemeinschaften erbringen, sollten sich dem intern anschließen: Nichts ist kritischer als eine nachweislich mit dem Corona-Virus infizierte WG zu begleiten, insbesondere dann, wenn man die Versorgung als Tour ohne festes Team in der WG organisiert hat. Ergänzend kann z. B. haftungsreduzierend die Empfehlung des Niedersächsischen Landesgesundheitsamtes hinzugezogen werden.
Download: https://www.niedersachsen.de/Coronavirus/hinweise-fur-pflegeheime-und-ambulante-pflegedienste-185609.html).

Das gilt auch in Bezug auf selbstverantwortete Wohngemeinschaften: Besuchsverbote etwa kann der Dienst nicht „verordnen“ aber er kann diese als fachlicher Berater mit Nachdruck verlangen. Sollte die rechtlich und fachlich risikoadjustierte Leistungserfüllung durch Nutzer / Nutzergremien blockiert werden, ist an die Beendigung der Versorgung (aus wichtigem Grund) zu denken, jedenfalls kann mit dieser argumentiert werden.

2.2 Spezielle einrichtungsrechtliche Anforderungen

Gibt es länderspezifisch spezielle einrichtungsrechtliche Anforderungen, die in diesen Tagen  i. d. R. durch Verfügungen der zuständigen Behörden konkretisiert werden, so sind diese auf ihre Reichweite zu prüfen und ggfls. auch in Analogie zu befolgen. Dabei ist angesichts bestehender haftungsrechtlicher Risiken ein „Mehr“ besser als ein „Zuwenig“.

2.3 Beachtung allgemeiner Anforderungen

Ungeachtet einrichtungsrechtlicher oder spezieller infektionsschutzrechtlicher Anforderungen hat der begleitende Dienst nach Obigem in eigener Verantwortung auch in Wohngemeinschaften diese rechtlichen Anforderungen zu erfüllen. Die „Verweigerung“ der Wohngemeinschaft oder Verlangen, die diese Anforderungen verletzen, stellen keine Rechtfertigungsgründe dar z.B. für die Missachtung von Beschäftigungsverboten. Der „entgegenstehende Wille der WG“ ist unbeachtlich.

2.4 Involvierung externer Unterstützung

Droht ein Dienst mit oder ohne Wohngemeinschaften in eine „kritische“ Versorgungslage zu kommen, so sind drei Maßnahmen zwingend angeraten – ungeachtet etwaiger landesrechtlicher Melde- und sonstiger speziell angeordneter Pflichten:
1. Information der zuständigen Heimaufsicht und ggfls. des Sozialhilfeträgers,
2. Information der vertragsführenden Pflege- bzw. Krankenkasse,
3. spätestens dann die Beantwortung der Frage, welche Klienten prioritär und wie versorgt werden sollen.

Nicht der betreffende Dienst hat eine „Versorgungsgewährleistungs-/Sicherstellungspflicht“, sondern die jeweilige Kommune bzw. die jeweilige Kasse bzw. der Sozialhilfeträger. Alle diese bedienen sich der Dienste für die ihnen gesetzlich zugewiesene Aufgabenerfüllung über die abgeschlossenen Versorgungsverträge. Sie sehen u.a. auch Informationspflichten vor. Gleiches gilt in Bezug auf Leistungsvereinbarungen mit dem Sozialhilfeträger. Dabei ist die Information als Einstieg in die kooperative Problemlösung anzugehen.

3. Fazit

Auch im ambulanten Bereich ist Corona Chefsache. Besonders gilt dies bei geclusterten Angeboten wie Wohngemeinschaften und Tagespflegen. Risikomanagement wird benötigt, und es ist förmlich zu installieren. Kommunikationswege sind einzurichten und zu sichern. Entscheidungen sind mit den Erwägungen, die zu ihnen geführt haben, zu dokumentieren. Leitungskräfte und (externe) Fachkompetenz (z. B. Hygienefachkräfte, lokale Spezialisten wie etwa Hygieneinstitute von Krankenhäusern)  sind einzubinden („Betrieblicher Krisenstab“). Kommunikation mit den zuständigen Behörden und Kostenträgern ist sehr angebracht – auch unter dem Aspekt Beratung/Unterstützung und Einbindung in Entscheidungen. Gleiches gilt (natürlich!) für die Mieterinnen und Mieter in Wohngemeinschaften sowie die Sprecher und Gremien. Die „Verweigerung von Wohngemeinschaften“ bildet keine Rechtfertigung für Rechtsverstöße. Reicht das Know-how des Dienstes nicht aus, so ist externer Spezialistenrat beizuziehen.