Der Fachverband für ambulant
begleitete Wohngemeinschaften
23. März | Aktuelles, News, Presse

„Uniformierungspflicht“ und Kostensteigerungen — wig warnt vor geplanter Gesetzesänderung

Fachverband wig warnt im Rahmen der Verbändeanhörung vor angedachter „Uniformierungspflicht“ und Meldepflicht freier Plätze als Änderung des Wohn- und Teilhabegesetzes.

Als maßgeblicher Bundesverband im Bereich von Wohngemeinschaften wurde wig in die Verbändeanhörung im Rahmen des Entwurfs einer Vorordnung zur Änderung des Wohn- und Teilhabegesetzes einbezogen. Als wig-Vorsitzender warnt Claudius Hasenau hier insbesondere vor den Konsequenzen der angedachten „Uniformierungspflicht“ sowie der Meldepflicht freier Plätze.

 

„Uniformierungspflicht“
Die geplante Regelung des § 3 a WTG DVO („Arbeitskleidung“) bedeutet letztlich die Einführung einer „Uniformierungspflicht“. Diese betrifft Wohngemeinschaften mit Betreuungsleistungen, die in ihnen tätigen Betreuungs- und Pflegedienstleister, Hauswirtschaftsdienstleister aber auch Anbieter von Service Wohnen —  und zwar alle deren Mitarbeiter*innen ungeachtet, wo diese eingesetzt werden. Die Neuregelung schießt damit weit über’s Ziel hinaus:

  • Denn Wohngemeinschaften mit Betreuungsleistungen sind Wohnangebote, in denen Betreuungs-, Pflege- und Hauswirtschaftsleistungen —  je nach dem Umfang der Beauftragung — tätig werden. Es handelt sich um familienähnliche Angebote mit einem hohen Privatheitsanspruch sowie einem weiten gesetzlich geschützten Spielraum für individuelle Ausgestaltungen des Leistungsangebots unter Mitwirkung der Nutzer*innen. Dies verträgt sich nicht mit der „Uniformierungspflicht“, die nunmehr pauschal für alle Leistungsanbieter*innen in Wohngemeinschaften eingeführt werden soll. Der Verordnungsgeber überschreitet damit den ihm durch das WTG vorgegebenen Gestaltungsrahmen.
  • Hinzu kommt, dass die „Uniformierungspflicht“ auch Vermieter von Wohnraum in Wohngemeinschaften trifft, bei denen die angebliche Risiko- bzw. Nutzenlage nicht im Geringsten ersichtlich ist. Dies gilt auch für das Service Wohnen gleichermaßen und noch verschärft. Zudem geht die „Uniformierungspflicht“ deutlich zu weit, wenn nicht zwischen Mitarbeiter*innen mit Nutzer*innen/Bewohner*innen-Kontakt und Mitarbeiter*innen ohne solchen differenziert wird. Denn hier ist keinerlei Grund dafür ersichtlich, dass Mitarbeiter*innen in Back-Office-Funktionen mit Arbeitskleidung ausgestattet werden müssten.

Die vorgeschlagenen Änderungen sind darüber hinaus für die betroffene Gruppe der Leistungserbringer*innen mit erheblichen Kosten verbunden. Betrachtet man allein die Betreuungs- und Pflegedienstleister, so ergibt sich folgendes Szenario:

  • Schon in einer fiktiven 12-er Wohngemeinschaft mit rund 10 in der Betreuung, Präsenz oder Hauswirtschaft eingesetzten Voll- und Teilzeitmitarbeiter*innen entstehen Kosten in Höhe von rund 1.000 – 1.200 € im Monat, also rund 12.000 – 14.000 € im Jahr. Die Umlegung auf die Nutzer*innen bedeutet letztlich eine Erhöhung der Betreuungskosten um mindestens 100 € pro Nutzer*in pro Monat.
  • Nimmt man die in der Pflege in einer solchen Wohngemeinschaft tätigen Mitarbeiter*innen (rund 4-6 Mitarbeiter*innen) dazu, so steigen die Mehraufwendungen auf 1.500 – 1.700 € pro Monat — also dann rund 18.000 – 20.000 € im Jahr.
  • Setzt man die gesamte Belegschaft der betreffenden Dienstleister an, so kommen noch einmal — je nach Größe der Betriebe — 5 Mitarbeiter*innen bis zu einem Vielfachen davon dazu.
  • Noch gravierender wird das Bild, wenn man den Kreis der Viermieter*innen hinzunimmt. Es ist völlig abwegig, mit der Verordnung hunderte Mitarbeiter*innen von Vermietungsgesellschaften wie Büroangestellte oder Hausmeister mit einer „Uniformierungspflicht“ und daraus entstehenden Kosten in Millionenhöhe zu belegen.

Zur Finanzierung dieser Mehrkosten schweigt sich der Verordnungsentwurf aus. Während die Gruppe der Leistungserbringer*innen und letztlich die Nutzer*innen dieser potentiell vor einer enormen Erhöhung der Kosten stehen, könnte man auf den Gedanken kommen, dass das Vorhaben eine verkappte Wirtschaftsförderungsmaßnahme zugunsten der Textilindustrie, der Wäscherei- und Reinigungsbranche sowie Mietkleidungsanbieter ist.

Meldepflicht bzgl. freier Plätze
Vor dem Hintergrund der wissenschaftlich diagnostizierten Angebotslücke erscheint zudem die in dem neuen § 33 Abs. 5 WTG DVO vorgesehene Meldepflicht abwegig. Nur eine verschwindend kleine Anzahl von Wohngemeinschaften haben freie Plätze. In dieser Situation eine Anzeigepflicht einführen zu wollen, ist abstrus. Im Übrigen stellt sich die Frage nach dem Nutzen der Anzeigepflicht. Denn hier sind keinerlei Erkenntnisse bekannt: bevor neue Meldepflichten eingeführt werden, sollte die Wirksamkeit von bestehenden Meldepflichten evaluiert und kommuniziert sein.

Die Änderung verursacht bei einem Leistungsanbieter einer Wohngemeinschaft, sei es der Betreuungsdienstleister oder ein Vermieter, einen täglichen Aufwand von mind. rund 5 Minuten, sprich 30 Stunden pro Jahr. Diese bedeutend  zwar „nur“ einen Kostenaufwand von rund 600 € pro Jahr je Wohngemeinschaft, letztlich werden hierdurch jedoch bei den Betreuungs- und Pflegedienstleistern Betreuungszeiten reduziert — und das alles vor dem Hintergrund immer knapper werdenden Personals.

Unser Appell
Bei ambulant strukturierten Wohn- und Versorgungsangeboten ist von der Einführung einer „Uniformierungspflicht“ wie von einer Meldepflicht bzgl. freier Plätze unbedingt abzusehen.
Die daraus entstehenden Mehrkosten sind aus den gängigen, schon nicht kostendeckenden Betreuungspauschalen zwischen 1.500 € und 1.900 € nicht zu finanzieren. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass wir immer häufiger und landesweit beobachten müssen, dass Kostenträger auf Seiten der örtlichen Träger der Sozialhilfe nicht bereit sind, die Kosten angemessener sozialer Betreuung zu akzeptieren. Sozialhilfe nach Kassenlage und Übernahme von Betreuungskosten nur im Ausnahmefall sind die von einer Vielzahl von Sozialhilfeträgern verfolgten Prinzipien. Leistungsanbieter*innen finden sich immer häufiger in der Schere von Kostensenkung und zunehmenden Anforderungen wieder. Was die WTG -Behörde verlangt, wird vom Sozialhilfeträger im Nachbarzimmer ignoriert.

Mit dem Hinweis auf diese untragbare Situation haben wir vor dem Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW diese Schere betont und dringend angeraten, von weiteren Kostenbelastungen für die sowieso schon gravierend unterfinanzierten Angebote abzusehen. Es geht nicht an, dass dieselben kommunalen Körperschaften als Organ der Landesverwaltung bei den Leistungsanbieter*innen höhere Anforderungen durchzusetzen haben und auch durchsetzen und gleichzeitig als kommunale Kostenträger sich verweigern, dadurch entstehenden Aufwand anzuerkennen und zu übernehmen. Insofern ist unser Anliegen das „Downsizing“ von zusätzlichen Anforderungen — auch wie sie in der Änderungsverordnung geplant sind — und zugleich auch das „Upgrading“ der Vergütungen, um die Kosten, die die Durchführung des WTG auch in Wohngemeinschaften mit Betreuungsleistungen mit sich bringt, zu neutralisieren.

Denn: Qualität gibt es nicht zum „Nulltarif“!