Der Fachverband für ambulant
begleitete Wohngemeinschaften
24. August | Aktuelles, News

WTG-Novelle in NRW verbessert Schutz der Nutzer*innen vor Gewalt und Freiheitsentzug

WG-Fachverband wig Wohnen in Gemeinschaft begrüßt Konkretisierung des ordnungsrechtlichen Instrumentariums zum Gewaltschutz und zur Vermeidung freiheitsentziehender Maßnahmen – Personeller Zusatzaufwand muss angemessen vergütet werden

Den Lebensabend entspannt in Gemeinschaft genießen: Mieterinnen und Mieter einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft in Gelsenkirchen-Schaffrath. Foto: Uwe Jesiorkowski

Gelsenkirchen, im August 2020. Die anstehende Novellierung des Wohn-Teilhabe-Gesetzes in NRW (WTG NRW) wird dazu beitragen, Nutzerinnen und Nutzer von ambulanten Wohnformen in Zukunft besser vor Gewalt und freiheitsentziehenden Maßnahmen (FEM)  zu schützen. Wig Wohnen in Gemeinschaft, der Fachverband für ambulante Wohnformen, begrüßt die in der Überarbeitung enthaltenen Regelungen zur Stärkung des Gewaltschutzes und zur Vermeidung freiheitsentziehender Maßnahmen. „Die Novelle gibt beiden Themen mehr Gewicht und setzt die längst überfällige Konkretisierung des ordnungsrechtlichen Instrumentariums zum Schutz der Mieterinnen und Mieter um“, so der wig-Vorsitzende Claudius Hasenau.

Auch wenn in den kleinteiligen Wohngemeinschaften mit in der Regel zwischen acht und zwölf Nutzer*innen die soziale Kontrolle durch Angehörige oder gesetzliche Vertretungspersonen viel größer ist als in vollstationären Pflegeeinrichtungen, so kann nach Auffassung des Fachverbandes beiden Themen gar nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt werden. Claudius Hasenau: „Das oberste Qualitätsziel in Wohngemeinschaften ist die Schaffung eines personenzentrierten, gewaltfreien Betreuungssettings, in dem entspannte Geborgenheit durch Interaktion mit den Nutzer*innen geschaffen wird. Gewalt und Zwang, Pressionen, sexuelle Übergriffe, das Wegsperren von Menschen und unkritische Gaben von Psychopharmaka haben nicht nur in Wohngemeinschaften, sondern generell in Betreuungseinrichtungen keinen Platz!“.

Einheitliche Verwaltungspraxis für hochsensibles Rechtsgebiet sicherstellen
In diesem Zusammenhang verurteilt der Fachverband die Ablehnung des Gesetzentwurfs durch von vollstationären Anbietern gesteuerte Anbieterverbände. Hasenau verweist in diesem Zusammenhang auf die Ergebnisse der WTG-Evaluierung durch Professor Dr. Thomas Klie, die explizit hinweist, dass die Bereiche Gewalt in der Pflege und FEM gesetzlich geschärft werden müssen. Gleichzeitig sieht der WG-Fachverband weiteren Optimierungsbedarf: Zum einen dürfe das WTG nicht mit Detailregelungen überfrachtet werden, zum anderen müsse eine einheitliche Verwaltungspraxis in diesem hochsensiblen Gebiet sichergestellt werden. WIG-Verbandsanwalt Dr. Lutz H. Michel: „Es muss gewährleistet sein, dass nicht mit unterschiedlichem Maß gemessen wird. Es muss ausgeschlossen sein, dass jede WTG-Behörde ihre individuellen Vorstellungen über Inhalte und Qualität der gesetzlich vorgesehenen Gewaltschutz- und FEM-Konzepte entwickelt und im Verwaltungshandeln auslebt.“ Der Verbandsjurist plädiert dafür, Vorgaben, die das WTG machen will, in einem partizipativen Prozess aller Akteure im Detail angebotsspezifisch zu erarbeiten und dann qualitätssichernd begleitet umzusetzen: „Die Auslegung zahlreicher unbestimmter Rechtsbegriffe in den geplanten Regelungen muss konsensual kanalisiert und damit für die Anbieter verlässlich gemacht werden.“

WG’en als „Leuchttürme für qualitätsvolle Betreuung und Pflege“
Mit Blick auf den „Pflegereport 2021“, weist Claudius Hasenau auf den hohen Qualitätsstandard in Wohngemeinschaften hin: „Wohngemeinschaften haben sich als Leuchttürme für qualitätsvolle menschenzentrierte Betreuung und Pflege etabliert. Strengere Regelungen bereiten uns in diesem Zusammenhang kein Kopfzerbrechen. Was uns Sorgen macht, sind stagnierende Vergütungen, die faktisch zu Leistungskürzungen führen. Es muss endlich sichergestellt sein, dass der durch die geplante Gesetzgebung auch für Wohngemeinschaften entstehende Mehraufwand sich in den Vergütungen abbildet.“

Kassen und Sozialhilfeträger müssen höhere Kosten akzeptieren
In einer Mitgliederumfrage hat der Fachverband ermittelt, dass durch die sich ändernden gesetzlichen Vorgaben zum Beispiel in einer „typischen Zwölfer-WG“ ein zusätzlicher Personalbedarf von rd. 0,3 VZÄ entsprechend jährlich rund 16.000 €- 19.000 € entstehen wird. Claudius Hasenau: „Dieser personelle Zusatzbedarf muss von den Diensten gestemmt werden. In Folge sind dann auch die Kosten von den Kostenträgern zu akzeptieren: Mehr Gewaltschutz und mehr Betreuung zwecks Vermeidung von FEM gibt es nicht zum Nulltarif!“. Der Fachverband wig Wohnen in Gemeinschaft fordert die Landesregierung in NRW deshalb dringend auf, als Rechtsaufsicht auf Kassen und Sozialhilfeträger einzuwirken, endlich leistungsgerechte Vergütungen mit den Anbietern zu verhandeln. Claudius Hasenau: „Die Schere zwischen höheren Anforderungen und seit Jahren faktisch stagnierenden Vergütungen öffnet sich immer weiter. Sie muss endlich geschlossen werden!“